Ein Beispiel für die Restauration einer Armbanduhr

Wenn man eine Armbanduhr z.B. auf einem Flohmarkt kauft, sollte man sich über die zum Kaufpreis folgenden Kosten im klaren sein! Zum Kaufpreis hinzu kommen bei dem gewählten Beispiel Ankauf auf einem Flohmarkt meist folgende Kosten:

1. Die Reinigung des Uhrwerkes. Je nach Qualität und Anspruch ggf. Ersatzteile, welche für die Gangqualität bzw. die Funktion notwendig sind.
2. Ein neues Glas. Sehr selten ist das Glas bei einer neu erworbenen Uhr noch in Ordnung. Sicher kann man Gläser z.B. aus Kunstoff aufpolieren, dies sollte sich aber auf spezielle Form- und Originalgläser beschränken. Ein Glas altert auch - es bekommt feine Risse und schrumpft. Ein Wechsel ist also meist sinnvoll (von der Vielzahl völlig falscher, nicht zur Uhr passender/gehörender Gläser einmal ganz abgesehen)
3. Ein neues Uhrarmband. Hier richtet sich der Preis sehr nach den Ansprüchen des Besitzers aber auch nach dem Wert der Uhr! Einmal ganz ehrlich, die Masse der "Grausamkeiten" und "Qualitätsgecks" ist jedem Uhrenfreund bekannt. Nicht umsonst habe ich bereits eine ganze Kiste von demontierten Bänden, welche ich niemandem zumuten möchte!
4. Das Gehäuse. Uhren, welche gut sind, wurden in der Regel auch entsprechend intensiv getragen. Das geht meist nicht ohne Spuren zu hinterlassen von sich. Sei es jetzt eine abgeriebene Vergoldungen oder die Vielzahl feiner Kratzer im Double oder auf dem Edelstahl. Meine Erfahrung sagt mir hier z.B. auch, dass ein Edelstahlgehäuse welches nur sehr wenige Macken aufweist aus extrem hartem Edelstahl ist. Das hört sich gut an, lässt sich aber auch nur sehr schwer auspolieren. Glauben Sie mir - Edelstahl ist nicht Edelstahl!
Ich habe für mein Beispiel für eine Restauration eine einfachere Herrenautomatik Uhr aus den 60er Jahren ausgewählt - eine Uhr wie man sie häufig auf Flohmärkten findet. Eine an sich schöne Uhr, welche durchaus von guter Qualität ist aber auch sehr viel getragen wurde. Ein Freund von mir bringt es auf den Punkt - Zustand bei Ankunft: "Wie vom Arm des Verblichenen abgeschnitten." 
 Als erstes schaue ich mir bestimmte Bereiche an, um zu entscheiden, ob es sich überhaupt lohnt dieses Stück zu restaurieren. Mein Blick fällt auf die Vergoldung, die Gehäusekanten - stark berieben aber nicht kaputt lautet das Urteil. Den nächsten Augenmerk lege ich auf eine kritische Stelle - wie sehen die Löcher der Federstege aus und wieviel Material ist hier vorhanden? Auch hier ergibt sich kein Ausschluss Kriterium...

Ich schaue mir jetzt das Werk genauer an, prüfe die Funktionen. Es handelt sich um eine Automatikuhr, also sehen, ob der Rotor klappert oder andere nicht gute Geräusche macht - das passt, der Rotor ist in Ordnung. Ich prüfe den Handaufzug und hier hakt es - die Uhr lässt sich nicht von Hand aufziehen! Jetzt erst einmal das Gehäuse öffnen und schauen, um was für einen Kaliber es sich handelt: Ein PUW (Pforzheimer Rohuhrenwerke) Kaliber 1260. Dafür gibt es erfahrungsgemäß Teile, wenn nicht neue, dann bestimmt gute gebrauchte. Mein nächster Blick gilt dem Schwingsystem - die Unruhe schwingt sauber und die Uhr läuft sogar mit etwas Zug der Automatik an - ein gutes Zeichen, wie gut, sagt aber erst die Zeitwaage nach der Reinigung! Dann noch geschaut, ob vielleicht einmal Wasser eingedrungen ist. Sehen kann man dies fast immer gleich an einer rostigen Aufzugswelle oder anderen Rostspuren am Werk. Auch hier ergibt die Prüfung keinen Missstand, welcher die Aufarbeitung in Frage stellen würde, im Gegenteil, dass Werk ist optisch in gepflegtem Zustand (keine zerkratzten Platinen, abgenudelte Schraubenköpfe sind Zeichen von unsachgemäßem Service).

Dann erfasse ich die weiteren Arbeiten - wie sieht das Zifferblatt aus (das Gesicht jeder Uhr und sehr teuer, wenn es restauriert werden muss!!)? Hier kann man oft nicht alle Fehler sofort sehen, zerkratzte Gläser täuschen oft! Also das Glas herunter und das Blatt begutachtet: Sehr gut erhalten, fast neuwertig ist das Fazit. Dabei werden auch gleich die Zeiger mit begutachtet - auch die sind sehr gut erhalten.
Der Blick geht noch über die Krone, das Glas und Band - Ergebnis abhaken, alles neu!
Ich schreibe mir meine Beurteilung auf, zähle alle Defekte auf und kalkuliere die Kosten für deren Behebung. Jetzt bin ich in einer Sonderstellung - die Uhr ist nicht für mich, ich möchte sie verkaufen können und muss eine realistische Kalkulation haben. Für Sie als "Endverbraucher" stellt sich also "nur" die Frage, ist die Uhr mir die Kosten wert? Dabei sollten Sie aber auch im Auge haben, nicht mehr in ein solches Stück zu investieren, als Sie bei einem Verkauf auch bekämen! Eine Ausnahme stellen nur Erbstücke oder Uhren mit anderem emotionalem Hintergrund dar, deren Wert kann man nicht festmachen an wirtschaftlichen Kriterien.

Werk reinigen und revidieren ohne Ersatzteile
140,00€
Gehäuse aufarbeiten, neu vergolden     
125,00 €
Glas erneuern  
22,00 €
Krone, farbl. angepasst - Bodendichtung 
20,00 €
Band       
ca. 20,00 €
Kron- und Sperrrad
35,00€
Ankaufpreis der Uhr ????

Die Uhr wird vollständig zerlegt, anschließend das Werk. Welche Teile sind hier defekt, warum funktioniert der Handaufzug nicht? Der Fehler ist schnell gefunden: Am Kron- und Sperrrad fehlen Zähne und lassen keinen Eingriff mehr zu. Die Teile sind am Lager, die Arbeit kann beginnen. 
  Jetzt wird das Gehäuse bearbeitet - es wird gründlich aufpoliert und alle Kratzer beseitigt. Besondere Vorsicht erfahren hierbei der Bodensitz und die feine Glaskante, andernfalls würden Boden bzw. Glas nicht mehr sauber sitzen! Nach einer gründlichen Reinigung im Ultraschallbad, um alle Schleifmittel- und Fettreste zu beseitigen, folgen mehrere Nachkontrollen mit der Lupe, ob auch alle Fehlerstellen beseitigt sind. Jetzt kann das Gehäuse in die Vergoldung gehen. Selbstverständlich bekommt die Uhr wieder eine Doublevergoldung, alles andere wäre Makulatur. 50 Minuten dauert alleine dieser Arbeitsschritt (8 Mikron Goldauflage, mehr geht nicht!), danach glänzt das Gehäuse wieder wie am ersten Tag. Der Glanz ist übrigens zu 100% davon abhängig, wie gut die Vorarbeit ist!
Nun gibt es da noch den Stahlboden. Dieser sieht gar nicht schlecht aus, hat aber deutliche Spuren an der Öffnungskerbe und einige Kratzer. Ich schleife die Spuren an der Kante mit Schleifpapier und poliere die Kratzer in einem speziellen Verfahren aus. Durch diese "Spezialbehandlung" erscheint nach der Politur wieder die "Sanduhrspiegelung" auf dem Boden, welche die Uhr auch bei der Auslieferung hatte.
Werk und Gehäuse werden jetzt wieder zusammen gebracht, das Glas gewechselt, die Krone erneuert und deren Sitz am Gehäuse angepasst. Auch die Form der Krone sollte stilgerecht sein, ich restauriere und tausche nicht nur einfach aus. Ein Blick noch auf ein nicht unwichtiges Teil - den Tubus. Der Tubus ist das Röhrchen auf dem die Krone gleitet, es muss exakt zur Krone passen und unterliegt genauso wie die Kronendichtungen der Abnutzung. Der Tubus wird auch gewechselt ist das Urteil, denn er ist von entscheidender Bedeutung für die Dichtigkeit! Bevor der Boden geschlossen werden kann, wird noch die Bodendichtung ersetzt. Abschließend wird ein passendes Band für die Uhr ausgesucht - Kriterien hierfür sind Preisklasse und Stil der Uhr, nicht sparen! Der Kunde soll später Freude an der Uhr haben und dazu trägt das Band nicht unwesentlich bei.

Eine absolut erhaltenswerte Uhr, vielleicht nicht unbedingt sehr wertvoll nach heutigen Maßstäben aber nicht alle Menschen identifizieren sich über Rolex und Breitling!
Die Uhr befindet sich übrigens in meinem Uhrenangebot (zwischenzeitlich verkauft!) auf dieser Homepage! Wenn Sie die absolut realistische Kostenaufstellung oben betrachten, werden Sie zu dem Schluß kommen, dass der Preis der fertigen Uhr mit 349,00 € mehr als gerechtfertigt ist.

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